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Ein Baumriese ist erwacht, und mit ihm die die Zeitreise über 200 Jahre

  • Autorenbild: Flor
    Flor
  • 9. Mai
  • 7 Min. Lesezeit

Mit beinah vier Meter Stammumfang dürfte diese Esche im Tiergarten gegen hundertneunzig Jahre alt sein. Als wir den Stammumfang des Baumes vorletzte Woche bewundern, klopft der Buntspecht hoch oben am Stamm neben seinen Bruthöhlen und wird gleich von Dominic fotografiert. Buntspechte zimmern jedes Jahr neue Höhlen. Viele andere Vogelarten, Insekten, Pilze und auch ein Drittel der heimischen Fledermausarten profitieren von verlassenen Spechthöhlen.
Mit beinah vier Meter Stammumfang dürfte diese Esche im Tiergarten gegen hundertneunzig Jahre alt sein. Als wir den Stammumfang des Baumes vorletzte Woche bewundern, klopft der Buntspecht hoch oben am Stamm neben seinen Bruthöhlen und wird gleich von Dominic fotografiert. Buntspechte zimmern jedes Jahr neue Höhlen. Viele andere Vogelarten, Insekten, Pilze und auch ein Drittel der heimischen Fledermausarten profitieren von verlassenen Spechthöhlen.

Eine mächtige Esche steht am Gehege unserer eurasischen Kraniche, nahe dem Herminenhof und unmittelbar am Bach bei der Holzbrücke. Der Baumriese hat eben erst jetzt seine Blätter ausgetrieben; Eschen, Eichen und Nussbäume sind bei uns die spätesten Baumarten. Doch es fiel nicht auf, denn der mächtige Stamm mit der borkigen Rinde fesselt den Blick auf Augenhöhe, während sich die Blätter über zehn Meter weiter oben entfalteten - Eschen können bis zu vierzig Meter hoch werden. Gibt man die beinah vier Meter Stammumfang (!) des Baumes bei Baumportal.de ein, erhält man das auf +/- 10 % Genauigkeit geschätzte Alter. Weil ich den Standort für Eschen als vorteilhaft erachte, gehe ich von der unteren Schätzung aus und staune über das stattliche Schätzalter von 188 Jahren!

Demnach weht der Wind der Geschichte seit bedeutend längerer Zeit durch das Geäst des Baumes als seit der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, während der Europa von Weltkriegen gebeutelt und der Tiergarten vor 95 Jahren gegründet wurde. Unser Baum stand schon da, als sich die Märzrevolution 1848 ereignete. Damals war er noch ein Bäumchen mit vielleicht elf Jahren Alter und wenigen Metern Höhe unweit eines bereits vor über hundert noch früheren Jahren gebauten Herrenhauses Herminenhof. Im Jugendalter des heutigen Schirmbaumes unserer Tiergarten-Kraniche zählte diese Vogelart bemerkenswerterweise noch zu den heimischen Brutvögeln. Die Esche dürfte knapp fünfzig Jahre alt und dann bereits gegen die zwanzig Meter hoch gewesen sein, als 1885 die letzte Brut freilebender Kraniche in Österreich nachgewiesen werden konnte. Und zwar im Imber Moos Oberösterreichs, wo die störungsanfälligen Vögel nach fortschreitendem Torfabbau nicht mehr erschienen sind.

Es fällt schwer, sich die Gegend vorzustellen, in der unsere Esche im geschätzten Jahr 1837 zu keimen begann. Michael Strauch hat die dramatischen, flächendeckenden Veränderungen im Zuge der Industrialisierung und Nachkriegszeit für das Wels umfassende untere Trauntal in einem Artikel beschrieben (1992, Kat. OÖ Landesmuseum 54: 251–262). Zum Vergleich seiner eigenen Flurerhebungen Anfangs der 1990er Jahre verwendete Strauch unter anderem das erste vollständig vorliegende Kartenwerk dieser Gegend aus dem Jahr 1825 – also von einer Zeit, die dem Keimen unserer Esche recht nahekommt. Damals war das von Strauch berücksichtigte 174 km2 große Gebiet des unteren Trauntal gerade einmal zu 1% mit Baulichkeiten versiegelt! Wels, so Strauch, als eines der wenigen kulturellen Zentren, bestand lediglich aus dem wenige Hektar großen Altstadtkern. Die Pferdeeisenbahn Budweis–Linz–Gmunden war zwischen 1825 und dem Keimen unserer Esche eröffnet worden. Die noch weitgehendst unregulierte Traun hatte 1825 eine fünfmal größere Wasserfläche mit bedeutend geringerem Tiefgang als heute, die sich über viele Seitenarme in ständig veränderndem Lauf durch breite Schotterflächen erstreckte. Damals hatte, der regelmäßigen Überschwemmungen wegen, der Auwald eine noch doppelt so große Fläche und präsentierte sich im Wesentlichen noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als eine sehr dynamische Weidenau, die heute weitestgehend verschwunden ist und nur in stark reduziertem Ausmaß durch den Eschen-Auenwald ersetzt wurde. Abgesehen von der Traun mit der tieferen Austufe und der Altstadt Wels war der Rest des unteren Trauntal überwiegendst Bauernland mit, neben dem Ackerbau, lichten Heidewäldern aus Kiefern, Stieleiche und Hainbuche und einem noch bedeutenden Anteil an Wiesen, die aus einem sehr artenreichen Mosaik von trockenen „Heidewiesen“, Halbtrocken- und Flachmoor- sowie Fett- und Obstbaumwiesen bestanden.

Unsere Esche wuchs im 19. Jahrhundert in einer Zeit heran, in der alle großen Raubsäuger Bär, Wolf und auch unsere Tiergartentierart Luchs in Österreich ausgerottet wurden, unsere Tiergarten-Vogelarten Blauracke und Krickente, zum Beispiel, aber noch gängig anzutreffen waren und sich im Bach zwischen den Wurzeln unserer Esche noch viele Edelkrebse getummelt haben dürften. 1879 wurde jedoch die mit dem amerikanischen Signalkrebs eingeschleppte Krebspest (eine tödliche Pilzerkrankung) erstmals in Österreich nachgewiesen. Dies läutete den weitgehenden Niedergang des heimischen Edelkrebses ein, der sich in den von den Signalkrebsen besetzten Bächen des Tiergartens heute ebenfalls nicht mehr finden lassen hat. Die Industrialisierung nahm Fahrt auf: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in Wels die Pferdeeisenbahn durch die Eisenbahn ersetzt, der Messebetrieb war am Laufen, der Volksgarten wurde angelegt, das erste Volksfest fand statt und die Stadtbevölkerung wuchs bis 1900 auf knapp über siebzehntausend Einwohner an. Die Bevölkerung Österreichs hatte sich im 19. Jahrhundert von drei auf sechs Millionen Einwohner verdoppelt. In diesem Jahrhundert erfolgen im ganzen Land weitläufige Flussregulierungen, was auch neue landwirtschaftliche Flächen zur Ernährung der angewachsenen Bevölkerung erschloss. Auch die Traunregulierung 1898 war eine einschneidende Veränderung im Landschaftsbild mit weitreichenden Folgen für den Auwald. Unsere Esche war damals gerade geschätzte sechzig Jahre alt, etwas über zwanzig Meter hoch und hatte einen beinah vierzig Zentimeter dicken Stamm.

Mit der durch die Flussregulation erfolgten Eintiefung der Traun vollzog sich auch die Absenkung des Grundwasserspiegels in der Au Anfangs des 20. Jahrhunderts. Dies führte zu großflächigem Absterben des Auwaldes. Im Zuge dessen waren die letzten bedeutenden Weidenauen unterhalb von Wels in den 1950er und 60er Jahren verschwunden. Die durch die Traunregulierung landwirtschaftlich gewonnene Fläche wurden mit Acker und Fichtenforsten kultiviert. Letztere begannen auch wegen des gesteigerten Holzbedarfes der Nachkriegszeit die Waldwirtschaft zu dominieren und führten mit der standortsfremden, intensiven Beschattung durch die Fichte zum Verschwinden der natürlichen Kraut- und Strauchschicht in diesen Forsten. Die Brachen der Dreifelderwirtschaft waren bereits im Laufe der landwirtschaftlichen Umstrukturierungen des 19. Jahrhundert aus dem Landschaftsbild des Grünlandes verschwunden. Und mit der Umstellung von der Weide- auf die Ackerwirtschaft im unteren Trauntal anfangs des 20. Jahrhunderts, dem zunehmenden Einsatz von schweren Landwirtschaftlichen Geräten, wofür in Wels eine namhafte Industrie entstanden war, sowie dem zunehmenden Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden ab Mitte des 20. Jahrhunderts verschwinden auch auf dem Grünland bis 1990 ein Drittel der 350 Wiesenpflanzenarten.

Vor allem nach den 1950er Jahren (unsere Esche wächst mit nun über 25 Meter Höhe standortbedingt nur wenig weiter in die Höhe und legt vor allem im Stammdurchmesser, in dieser Jahrhunderthälfte von ca. siebzig Zentimeter auf einen Meter zu) wurde in Österreich ein Straßennetz gebaut, dass mit gegenwärtig ca. hundertdreissigtausend Kilometer Länge mächtiger geworden ist als das österreichische Fließgewässernetz mit rund hunderttausend Kilometer Länge. Erst ab den 1920er Jahren hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass für den aufkommenden Automobilverkehr wasserundurchlässige, asphaltierte Straßen vorteilhaft sind. Davor waren selbst die wenigen Straßen mehrheitlich unversiegelte Schotterstraßen. Mit dem Auto-Straßennetz und vornehmlich auch mit dem Bau der Autobahnen und Schnellstraßen, wie der Welser Autobahn und der Welser Schnellstraße in den 1970ern, ging eine Zersiedelung einher, die bereits in den 1990ern ein Drittel des unteren Trauntal versiegelt hatte. Damals gab es noch ein Drittel mehr an Biomasse von Fluginsekten, mit deren Schrumpfen auch die Populationen vieler Vogelarten abzunehmen begannen, wie zum Beispiel die der Feldlärche um die Hälfte, die des Gartenrotzschwanzes um einen Drittel, Ortolan und Raubwürger etwa sind verschwunden, unsere Tiergartenvogelart Blauracke so gut wie und unsere Tiergartenart Krickente, einst eine unserer häufigsten Entenarten und von BirdLife Österreich zum Vogel des Jahres 2025 ernannt, ist nun ebenfalls stark gefährdet auszusterben.

Aber: Bereits seit 1913 beginnt sich der Naturschutzbund Österreich für die Natur einzusetzen, es folgen weitere Vereine (1953 etwa BirdLife Österreich), ab 1981 die Gründung der Nationalparks (1997 der Nationalpark Kalkalpen). 1972 setzte wieder ein Bär, sehr wahrscheinlich aus Slowenien, seine Tatzen auf österreichischen Boden, 1977 wurden die ersten Luchse in der Steiermark ausgesetzt und seit 2009 wieder Wölfe in Österreich gesichtet. Der Biber war in Österreich 1869 ausgerottet, hat sich nach Aussetzungen in den 1970ern und Einwanderungen seither aber wieder so stark vermehrt, dass ab 2002 in Österreich Bibermanagements eingerichtet wurden, um auf Biberschäden zu reagieren. Gelegentlich nagen auch wieder freie Biber im Tiergarten Wels die Bäume an, oder es wieselt ein Fischotter durch. Doch anderswo bieten die vom Biber geschaffenen Feuchtgebiete vielfältige Lebensräume für eine reiche Artenvielfalt und fördern den Wasserrückhalt in der Landschaft. Deshalb gilt der Ökosystem-Ingenieur Biber allgemein als Verbündeter für die Maßnahmen gegen den Biodiversitätsverlust und den Klimawandel. Gerade in diesem Jahr war unser Tiergarten Zwischenstation für eine Biberfamilie, die in Portugal ausgesetzt wurde, um ein Gebiet wieder zu vernässen.

Denn der Klimawandel findet im 21. Jahrhundert rasant statt: In der Zeit, in der unsere Esche gediehen ist, ist die mittlere Jahrestemperatur in Österreich um beinahe drei Grad Celsius, allein seit 1980 um fast zwei Grad Celsius gestiegen. Die zehn wärmsten Jahre in der über zweihundertfünfzigjährigen Messgeschichte Österreichs liegen alle in dieser letzten Periode und acht dieser zehn Jahre in den letzten zehn Jahren. Viele der mit unserer Esche im Baumbestand des Tiergartens vergesellschafteten Fichten wurden, durch den Hitzestress geschwächt, vom Borkenkäfer befallen und mussten in den letzten zehn Jahren gefällt werden. Die Stadtgärtnerei beginnt die Baumarten nach Kriterien der Hitzeresistenz auszuwählen. So geschehen in der Landschaft weitere Veränderungen, die nun weniger durch direkte bauliche oder landwirtschaftliche Maßnahmen als durch den indirekten menschlichen Einfluss des Klimawandels verursacht sind. Das Waldbild und die Biodiversität wird sich klimabedingt weiter verändern.

Gerade die Edellaubart Esche war bezüglich des Klimawandels Hoffnungsträger für die Waldwirtschaft. Eschenwälder sind auch mit vielen Flechten und wirbellosen Tierarten assoziiert. Aber das Eschentriebsterben bedroht in den letzten Jahren, und so auch seit 2007 in Österreich, den gesamten Eschenbestand. Die durch einen Schlauchpilz verursachte Krankheit lässt Triebe, Äste, Kronenteile und ganze Bäume sterben. Und seit 2004 breitet sich der in Russland eingeschleppte Eschenprachtkäfer von Moskau ausgehend Richtung Mitteleuropa aus und erreichte vor sechs Jahren die Ukraine. Die Larven dieser Käfer zernagen die Saftleitungen des Baumes unter der Rinde, was für die Esche in Europa zusätzlich zum Eschentriebsterben fatale Folgen haben könnte. Diese Bedrohungen lassen uns schon bangen um den Baumriesen, denn unsere Esche könnte sogar 250 Jahre alt werden und somit noch sechzig Jahre oder ein Viertel ihres Lebens weiterhin als Baumriese mit bis zuletzt eineinhalb Meter Stammdurchmesser beeindrucken.

Es ist doch bemerkenswert, dass uns - ganz anders als bei jungen Tieren - die besonders alten Bäume als besonders schützenswert erscheinen. Glücklicherweise dessen ungeachtet klopft der Buntspecht, als ich mit Dominic Weber vorletzte Woche am Fuße der Esche ihren Umfang bewundere, ein Dutzend Meter über uns an dem Naturdenkmal. Er hat dort bereits mehrere Bruthöhlen angelegt.


 
 
 

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